Antwort auf die Frage, inwiefern das Philosophieren im Business hilfreich ist...

13/12/17 +++ Zum be-SINN-lichen Jahresausklang heute ein Blog-Thema, das meine beiden wesentlichen Arbeitsfelder – Kommunikation und Philosophie – übergreift und zusammenführt: Auf einer Veranstaltung wurde ich neulich gefragt, was es denn fürs geschäftliche Leben nützen solle, das Philosophieren zu lernen. Davon absehend, dass es natürlich eine eminent philosophische, grundsätzlich zu diskutierende (Werte-) Frage ist, ob denn alles irgendwie von „Nutzen“ sein muss, habe ich ungefähr die folgenden Nachdenk- und Anwendungs-Hinweise gegeben, die ich nun auch Ihnen und euch, liebe PPL-Blog-Leser, zur Kenntnis und gelegentlichen Erwägung gebe.

Was im individuellen Tiefen-Coaching mit philosophischen Mitteln (und insofern ohne die verbreiteten „systemischen“ Vorurteile und Grenzen) erfahrungsgemäß ausdrücklich vom Klienten thematisiert wird: die Frage nach einem irgendwie bedeutenden „Eigentlichen“ im eigenen Leben, im Denken, Fühlen und Tun, auch im „Glauben“. Eine Frage, die in der (abendländischen) Philosophie von Anfang an ein Denk-Ausgangspunkt war – als „ontologisches“ Problem des Daseins, als ein Erkenntnis- und Zugangsproblem zum „wahren“ Sein im Unterschied zu verschiedenen Formen des „Scheins“.

Der einzelne Mensch sucht wohl gerade in unserer „postpostmodernen“ Gegenwart, geprägt von tatsächlichem Überfluss und zugleich tief gefühlter Unsicherheit, stets (mehr oder weniger willentlich-bewusst) nach einem „Sinn“, den er zunächst schwer sprachlich-definitorisch fassen kann, der aber zumeist auf eine geheimnisvolle Art und Weise auch mit eigener „Wahrheit“ und mit einer Form von Ordnung verbunden wird. Dabei beschäftigt der postpostmoderne Mensch sich auch mit den persönlichen Spielräumen in seinen vielen Rollen, unter anderem in der stark regelgeführten Funktionsrolle im Job. Oder man sagt das mit philosophischen Worten: Er stellt sich die praxisphilosophische Basisfrage nach der (gegebenen, möglichen, unmöglichen) „Freiheit“ in Gesellschaft, Welt und Kosmos, aber auch den eigenen so genannten „Gefühlen“ gegenüber (oder vielleicht gerade in ihnen).

Was ich mit diesen Andeutungen aus der Beratungswirklichkeit sagen will: Der ins Denken geratende Business-Mensch ist schon mitten im Philosophieren, weil er sich Fragen stellt, die tief liegende Grundlagen seiner eigenen „Gehirn-Einstellungen“ (auf philosophisch: seines Bewusstseins und Selbstbewusstseins) betreffen. Er sucht dabei oft auch nach „Ratschlägen“, was meint: nach sprachlich-begrifflicher Denkordnung und Handlungsbegründung, die mithilfe der gesprächlich-dialogischen Erfahrung des Beraters gemeinsam entwickelt werden können, aber eben auch aus der vielgestaltigen philosophischen Tradition des systematischen Nachdenkens.

Was nun sind vor diesem Hintergrund die möglichen Antworten auf die Eingangsfrage nach dem Nutzen der Philosophie fürs eigene Business-Leben? Ich wähle sieben von ihnen aus, eine traditionell bedeutsame, schöne Zahl:

  1. Das philosophische Gespräch ermöglicht die ins basale Zentrum des menschlichen Seins führende, prinzipiell wahrheitsorientierte, das heißt auch: stets ergebnisoffene, Betrachtung eigener Lebensgrundsätze an philosophisch-historisch beschriebenen begrifflich-gedanklichen Modellen. Hier öffnet sich der Weg zu tatsächlichen eigenen Wahrheiten im Anschluss an die oben angedeuteten Beispielfragen des Klienten.
  2. Philosophieren zu lernen, bedeutet immer auch: verstehen zu lernen. Philosophie kann Horizonte öffnen für die gedanklichen und erlebten Muster von Menschen, zum Beispiel in der Beschäftigung mit oft komplexen Gedankengebäuden einzelner großer Philosophen. Die Hermeneutik als Lehre vom immer neu zu öffnendem Verstehenshorizont kann den Philosophierend-Interpretierenden dazu führen, „den“ Menschen besser zu verstehen, auch und gerade in seinen wiederkehrenden Glaubenssatz-Mustern. Ein solches Verstehen hilft konkret im Umgang (auch im stark interessegeleiteten geschäftlichen Tun) mit Menschen als Kunden, Partner, Investoren etc. Denn Menschen sind wir ja alle, auch wenn einige versuchen, sich nach Maschinenregeln zu verhalten – was nie ganz gelingen kann.
  3. Philosophieren zu lernen, bedeutet auch: die Relativität von Perspektiven zu erkennen. Man entdeckt (etwa in der Erkenntnistheorie oder moderner: in der Wissenschaftstheorie) hier recht schnell, dass individuelle Perspektiven (also Sichtweisen auf allerlei Verhältnisse und Vorgänge etwa auch in Unternehmen und auf Märkten) nicht nur alle Wahrnehmungen von Geschehnissen prägen, sondern auch Ansatzpunkte für eigenes Kommunikationsverhalten. Insbesondere im Bereich Unternehmenskommunikation kommt vieles darauf an, die Adressaten-Perspektive (zum Beispiel die des Kunden) tatsächlich einzunehmen und nicht mit Vorurteilen und banalen Schein-Umfragen zu verstellen. Aber auch in der „harten“ Produktentwicklung hilft es, potenzielle Produktnutzer in ihrer Perspektivität zu verstehen, um spätere Handels-Flops rechtzeitig zu verhindern oder um eine App auch wirklich zum Erfolg bei den Anwendern zu machen.
  4. Philosophieren heißt auch, flexibel zu sein und zu bleiben. Man trainiert den eigenen Kopf an diversen Denkmodellen und lernt beispielsweise, wie man mit leicht oder stark veränderten Ausgangsbegriffen (Rahmenbedingungen, Voraussetzungen) zu ganz verschiedenen Ergebnissen (Folgerungen, Ableitungen) kommen kann. In der Business-Wirklichkeit etwa der Produktentwicklung im IT-Bereich können die Betroffenen ein Lied davon singen, wie flexibel man auf immer neue Anforderungen konstruktiv reagieren muss...
  5. Die Philosophie ist eine Schule der Argumentation. Der berühmte Arthur Schopenhauer hat in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sogar mal ein Manuskript über „Die Kunst, Recht zu behalten“ (Eristische Dialektik) geschrieben. Wer philosophiert, sucht oder findet oder vermisst insbesondere logische Ableitungen (Folgerungen), diskursive Begründungen, rhetorische Tricks, rational darstellbare ethische Anwendungsregeln und viele weitere Figuren des Denkens und sprechenden Handelns. So etwas bereitet im geschäftlichen Leben zum Beispiel auf Verhandlungen oder Fachvorträge recht gut vor.
  6. Wer philosophiert, nimmt an einem Zusammenhangstraining teil. Er lernt, seinen Blick auf Strukturen und Entwicklungen zu richten und nicht nur auf die Details, die aktuell-situativ vor Augen treten. In unseren sehr schnellen und unübersichtlichen Zeiten in Gesellschaft und Wirtschaft kann dieser Blick des Abstands „von oben“ manchmal ganze Unternehmen retten. Mit den Klischees, die in Visionen, Missionen und Leitbildern real existierender Konzerne stehen, hat dieser Blick allerdings eher weniger zu tun. Er ist auf Wahrheit als Zusammenhangsstruktur gerichtet, zielt auf Klarheit (zumindest nach innen), nicht auf PR-Vernebelungen (die nach außen nötig und sinnvoll sein mögen).
  7. Last, but not least, tut die Philosophie, was ihr Name sagt: immer weiter nach der Wahrheit als Weisheit des Lebens suchen. Philosophische Gespräche, Lektüren und Übungen befördern letztlich eine Haltung von intellektueller Angst-Freiheit, die überall im Leben (nicht nur im Business) hilft. Wenn es stimmt, was manche Sozialpsychologen sagen, dass eine basale Angst die gestressten Menschen unserer Gegenwart in ihren halbbewussten Tiefen umtreibt, werden sie diese wahrscheinlich nicht durch noch mehr Social-Media-Postings mit ihrer verzweifelten Suche nach regelhafter Anerkennung bekämpfen können, wohl aber durch die philosophische Konzentration auf das „eigentlich“ Wesentliche. Traditionell lateinisch gesprochen: Ars longa. Vita brevis. (Die Kunst ist lang. Das Leben ist kurz.) – Anders gesagt: Wer sterben muss (wie das Bewusstseinstier Mensch, ob mit oder ohne Business-Aufgabe), sollte mit seinem Leben wie mit einer persönlichen Kostbarkeit umgehen und nicht unter Druck aus Angst den eigenen Weg verfehlen. Etwa nach dem alten philosophischen Motto: Carpe Diem. (Nutze den Tag.) Denn auch und gerade im Geschäftsleben gilt: Nicht immer hat der angebliche (gesellschaftliche, technische, ...) „Trend“ recht. Selber zu denken hilft zumeist weiter als jede Statistik. – Deshalb philosophieren wir. Schön, dass Sie mitmachen.

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