Das Individuum als Seinsebene - Einführung in die ExistenzEbenenAnalyse (Folge 7)

20/11/14 +++ In unserer losen Reihe zur Einführung in die philosophische Analyse- und Beratungsmethode der Transzendental-phänomenologischen ExistenzEbenenAnalyse erreichen wir (nach der Basisebene "Leib" beim letzten Mal) heute die zweite Ebene des menschlichen Daseins: das "Individuum" - ein Begriff, der hier empirisch und nicht bewertend verwendet wird.

In der Begriffsgeschichte des "In-dividuums" als "Un-teilbarem" (oder auch einfach als "Einzel-Ding", dem andere Einzeldinge oder Gesamtheiten gegenüberstehen) gibt es allerlei Wendungen, auf die ich hier nicht eingehen will. Worauf es ankommt, ist in historischer Perspektive, dass seit der Aufklärung der Begriff vorwiegend für den Menschen als (insbesondere auch moralisch) urteilende Person (Kant) verwendet wird, die dann im Idealismus bis hin zum sich frei selbst "setzenden" Subjekt (Fichte) aufgewertet wird. In der Folge erhält dieser mehr oder weniger freie Einzelne jedenfalls in Westeuropa auch gesellschaftspolitisch und rechtlich einen besonderen Status, den wir heute wie selbstverständlich voraussetzen, wenn wir auf unserer individuellen Freiheit bestehen - auch wenn diese womöglich im erlebnisrealen Kern im fortgeschrittenen Kapitalismus nurmehr aus der Wahl zwischen verschiedenen Mode-Marken besteht.

In der daseinsphilosophischen Hinsicht dieser Reihe benutzen wir den Begriff des Individuums unter den Gesichtspunkten einer empirisch-phänomenal zu erfassenden "Identität" des realen, leiblich existierenden (Einzel-) Menschen. Dieser empfindet und interpretiert sich "selbst" (die Sprache verrät uns fast immer...) aller Erfahrung nach (und wenn ihm schwere Krankheitsstörungen diesen Weg nicht verstellen) im Horizont seiner als individuell vorgestellten "Persönlichkeit". Er definiert sich regelrecht über die Merkmale, die er sich - häufig unbewusst - als sein (Tiefen-) "Selbst" oder (Oberflächen-) "Ich" zuschreibt. Mit wachsender Bewusstheit kommt er über das im engeren Sinne leibliche Spüren (unmittelbare Regungen, ungesteuerte Emotionen, intuitiv-bewertete Gefühle) hinaus zur Selbstbefragung, in der sich sein (mehr oder weniger individuelles) "Ich" weiter-bildet. Dies geschieht auch in der Beobachtung und Abgrenzung von (bzw. Verbindung mit) anderen Menschen (und oft auch Tieren, Pflanzen, Strukturen und Dingen). Auf diese Weise wird das einzelne Ich sich "bedeutend" - und kann mit dieser inneren Selbst-Haltung auf den weiteren Existenz-Ebenen (Familie, Gesellschaft, Arbeitswelt usw.) zumindest teilweise auch gestaltend am eigenen Leben "arbeiten".

In der philosophischen Beratung nimmt diese Ich-Ebene zumeist besonders breiten Raum ein. Hier stellen sich die für den modernen Einzelmenschen häufig besonders wichtigen Fragen nach der ganz persönlichen Freiheit, nach dem eigenen, bewusstmachbaren und beschreibbaren Existenzgefühl und nach dem damit meist eng verbundenen "Sinn"-Faden im eigenen Leben als Selbst-Erleben. Oft müssen hier auch begriffliche Verengungen des empirisch-phänomenal Gespürten besprochen und (wieder oder erstmals) geweitet werden, die zum Beispiel aus dem Eingebundensein eines Klienten in die gesellschaftlich-systemisch mächtigen, aber eher selten wahrheitsorientierten Diskurse der (therapieorientierten) Psychologien und der (funktionalistischen) Arbeitswelt-Ideologien resultieren. Bei solcher Ich-Klärungsarbeit greift die Beratung dann sehr schnell auf die weiteren Existenzebenen über. Dazu demnächst mehr.

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