Der Leib als basales Sein - Einführung in die ExistenzEbenenAnalyse (Folge 6)

22/9/14 +++ Nach ein paar Monaten arbeitsbedingter Pause im Blog-Strang "ExistenzEbenenAnalyse" gibt es heute mal wieder einen philosophischen Zugriff auf das nicht immer nur kommunikative Leben. Das Schema der neun hauptsächlichen Ebenen des individuellen Daseins wurde ja bereit in den letzten Beiträgen (zuletzt am 11. Juni) eingeführt. Nun kann es also mit der Beschreibung der einzelnen Ebenen losgehen. Dabei beginnt man am besten "unten", das heißt: dort, wo das einzelne Wesen sich ziemlich unmittelbar selbst spürt, oder genauer: sich als am Leben und in der Welt seiend vorfindet. Der "Leib" ist die basale Lebensebene schlechthin.

Hierbei ist eine wichtige Unterscheidung vorzunehmen. Das Wort "Leib" ist mit Bedacht gewählt, um nicht hereinzufallen auf eine falsche Gegenüberstellung, die seit alten philosophischen Tagen eines Demokrit (der im fünften vorchristlichen Jahrhundert in Griechenland den Atomismus erfand) unsere Kultur überwiegend prägt, nachdem Descartes ihr im 17. Jahrhundert zum Durchbruch verholfen hat: Der vorgestellte Dualismus von Körper und Geist/Seele führt uns zum maschinellen Denken nach dem Muster eines Uhren-Mechanismus, der antreibt und steuert, wie es eine machtvoll imaginierte Geist-Seele auch mit dem menschlichen Einzelkörper tun soll. "Le corps que j'ai", der Körper, den ich habe, sagen die Franzosen dazu. Aber die modernen Phänomenologen wie Merleau-Ponty kennen eben dem gegenüber auch den "corps que je suis", den Körper, der ich bin. Eben dies ist, wofür uns im Deutschen das treffende Wort "Leib" zur Verfügung steht.

Dieser basal-gespürte Leib ist jedermanns eigener und als solcher unmittelbar zugänglich. Und zwar in "ganzheitlicher" Weise, womit hier nur angedeutet sein soll, dass beim Hinspüren wohl für kaum jemanden ein klar umgrenzter Geistseelewille im "Gehirn" einem zu steuernden Roboter-Restkörper gegenübersteht. Vielmehr erfährt man sich vor jeder Trennung zunächst als eigenes (Da-)Sein in Leiblichkeit, sodann in verschiedenen leiblichen Räumen (und Umgebungen), über die der in dieser Reihe schon mehrfach zitierte Leibphänomenologe Hermann Schmitz viel Richtiges zu sagen hat.

Auf dieser Ebene liegen allerlei einzelne "Befindlichkeiten" (auch so ein treffendes deutsches Wort) und vor allem eine basale leibliche "Gestimmtheit", die in der Tradition zum Beispiel als "Temperament" bezeichnet und mit verschiedenen Körpersaft-Anteilen in Verbindung gebracht worden ist - und die immer auch mit der stets leiblich "getönten" Beziehung von Ich und Welt zu tun hat. Denn vom gespürten Leib aus findet oder definiert der einzelne Mensch sich allererst in mehr oder weniger bestimmtem Verhältnis zur "Welt", wie er sie wahrnimmt und zugleich für sich erschafft.

Auf dieser ersten Existenzebene stellen sich in der philosophischen Beratung eine Vielzahl von wesentlichen Selbstdeutungsfragen. Hier ringt das Ich schon basal um sich selbst, könnte man sagen, wenn dann nicht sogleich das verbreitete psychologische Missverständnis im Raum stände: Die Existenzebenenanalyse bietet keine medizinisch-heilenden Rezept-Mechaniken, sondern nur eine - manchmal allerdings auch leibnah "tröstliche" - beschreibende Perspektive auf das Leben an sich und auf das ganz eigene Leben. Dazu gehören dann neben vielen anderen auch die leibnahen Fragen zum Verhältnis von Bewusstsein und Unbewusstem, von Verstand und Gefühl, auch von spürbarem Leid und Glück - alles Wörter, deren begrifflicher Gehalt zunächst undeutlich ist, im gemeinsamen Gespräch aber mit individueller Bedeutung versehen werden kann.

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