Die Demokratie und die hilflosen Philosophen
18/9/13 +++ Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" rettet in der aktuellen Ausgabe mal wieder die Demokratie, diesmal vor dem Ansturm der Nichtwähler. Da wird natürlich ziemlich übertrieben - und doch trifft etwas davon ins dunkle Herz der aktuellen Diskurs-"Philosophen", die in ihrem Missverstanden-Werden und in ihrer Hilflosigkeit gegenüber der komplizierten modernen Welt der Verfahren irgendwie bemitleidenswert wirken.
Schon wieder Precht, denke ich jedesmal, wenn ich in Print oder TV auf das stoße, was eher ahnungslose Journalisten für einen "Philosophen" halten. (Dies Urteil gilt natürlich nicht für Herrn Scobel, der fast immer weiß, was er tut und mit wem er worüber redet. 3sat-Gucken bildet hier wirklich mal!)
In unseren Leitmedien-Diskursen der letzten Jahre wurde der arme Herr Precht von verzweifelten Fragestellern immerzu um Welterklärungen und Handlungsanweisungen gebeten, die er eigentlich so gar nicht zu bieten hat. (Der Mann ist doch kein Sokrates!) Aber für Talkshows geeignete, oberflächliche Allgemeinplätze, die eigentlich niemandem wehtun können, fließen flockig aus dem smarten Mund unseres ziemlich glatten, harmlos-gutwilligen Musterschüler-Meisterdenkers.
Es ist nicht so lange her, da "durfte" Herr Precht auch im "Spiegel" etwas ziemlich Allgemeines zur Lage der Demokratie zum Besten geben (gedruckt, online und auf der Talk-Bühne). In dieser Woche scheint der allgegenwärtige "Bürgerphilosoph" nun aber bei einigen "Spiegel"-Redakteuren in Ungnade gefallen zu sein, denn jetzt wird er zum demokratiefeindlichen Intellektuellen stilisiert und gemeinsam mit seinem "Gegenspieler" (und Vorgänger in der TV-Öffentlichkeit) Peter Sloterdijk als philosophisches Parade-Beispiel-Paar für den Typ des "hochmütigen Nichtwählers" (ein Ausdruck von Bundestagspräsident Lammert) aus dem schöngeistigen Milieu herangezogen.
Und tatsächlich ist etwas Wahres daran, wenn die drei Spiegel-Autoren konstatieren: "Eine Demokratie ist ... weder ein Lieferservice noch ein Unterhaltungsprogramm." Das geht ganz zu Recht gegen die kuriose Oberflächlichkeit der Medial-"Philosophen", wenn sie ein pauschales Urteil über "das System", "die Parteien" oder "das Ganze" fällen, das ihnen nicht "gefällt" (bzw. dessen ausübende Politiker "nicht liefern") - während sie zum Beispiel die doch immer noch vorhandenen Differenzen in den Wahlprogrammen der real existierenden Parteien schlicht nicht wahrnehmen. Klar, dass für diese Helden des Denkens mit gut situiertem Hintergrund etwa ein Mindestlohn kein Thema ist - für viele andere Mitbürger schon. Das nennt man dann wohl "abgehoben". Die Mühen der demokratischen Verfahrensebene sind halt nichts für freischwebende Schöngeister. (Ich persönlich kann diese Welt der Verfahren und Interessenkämpfe ums Detail auch nicht leiden, aber ich halte das nicht für einen Maßstab für ein Urteil über das demokratische System und seine "mitspielenden" Wähler. Ob ich mir das demokratische Recht aufs Nichtwählen nehme oder nicht, geht niemanden etwas an.)
Warum nur, muss man dann aber das Leitmedium "Spiegel" bzw. die drei Autoren fragen, wird ausgerechnet von solchen medial aufgehübschten Diskurs-Philosophen etwas anderes erwartet? Und was eigentlich? Als kompetente Politik-Philosophen haben gerade diese beiden sich nun wirklich nicht erwiesen. (Oder habe ich da was übersehen?) Sloterdijk hat von jeher in seiner eigenen, kulturphilosophischen Gedanken-Welt gelebt und geschrieben (dies zumeist großartig, übrigens!); Precht tut, was er kann, ein paar Nummern kleiner, aber stets im weichen eigenen Gedanken-Raum, der nun nicht gerade in der Nähe härterer politischer Realitäten liegt. Die persönliche Hochmütigkeit ist gewissermaßen bei beiden das "natürliche" (ihnen angemessene) Geschäftsmodell. Im Übrigen IST medienwirksames "Philosophieren" fast definitorisch Unterhaltung, was denn sonst? So funktionieren halt die Medien. Hier steht nicht das ernsthafte Bemühungen um die Klärung von Begriffen und die Beschreibung von Phänomenen zu erwarten (diese beiden Aufgaben könnte man mit einigem Sinn einem ernst gemeinten öffentlichen Philosophieren zuschreiben), obwohl das manche Menschen im Publikum durchaus interessieren könnte (mich zum Beispiel).
Zum Glück steht weder eine Revolution durch Nichtwähler noch ein "Kabinett Precht", wie die Spiegel-Autoren ironisch sagen, zu erwarten; mit dem Versuch der Herrschaft eines Philosophenkönigs ist ja schon der alte Platon gleich zweimal in Syrakrus gescheitert und dabei im Kerker gelandet. Unsere Demokratie steht sicher nicht deshalb in Frage, weil dieser kleine, unscharfe, so gar nicht philosophische "Nichtwähler"-Mediendiskurs vor der Wahl stattfindet. Insofern hat der Spiegel da nicht viel zu retten, eigentlich.
Schön wäre es allerdings, wenn das Nachrichtenmagazin sein eigenes, etwas schwankendes Niveau "retten" könnte und zum Beispiel nicht nur die Hilflosigkeit der Philosophen gegenüber der Politik bearbeiten würde, sondern auch (gewissermaßen umgekehrt) die Hilflosigkeit seiner eigenen Nachwuchsredakteure im Umgang mit dem ehrwürdigen Begriff "Philosophie" und den Inhalten dieses weiten Feldes. Man kann nur den Kopf schütteln, wenn man so etwas lesen muss wie in Ausgabe 34/2013 im Global-Village-"Bericht" über den Weltkongress für Philosophie in Athen. Ich habe selten etwas so völlig Inhaltsloses über "Philosophie" in irgendeinem Sinne gelesen - über den Kongress erfährt man tatsächlich Nullkommagarnichts. Man kann, will ich sagen, wenn man denn nichts zu sagen hat, ja auch mal schweigen. (Ob mit oder ohne Wittgenstein.) Oder dann doch lieber nochmal Herrn Precht fragen...