Die Nah-Welt des Einzelnen als Seinsebene - Einführung in die ExistenzEbenenAnalyse (Folge 8)

23/11/15 +++ Heute ist es mal wieder Zeit für etwas Praxis-Philosophie – nach einer längeren Pause, in der der Autor auf einigen seiner eigenen „Existenzebenen“ vielbeschäftigt war, sodass einige Leser ihn schon mahnten. Jetzt aber: eine kurze Beschreibung der dritten ExistenzEbene nach dem „TEEA“-Modell-Trichter der neun Ebenen (TEEA-Folge 4). Es geht hier – nach der Beschäftigung mit dem eigenen Leib und der Erfahrung von Individualität (den beiden ersten Ebenen) - um die Welt der Nähe, in der der empirische Einzelne sich stets auch und oft sogar bevorzugt aufhält.

Konkrete Lebensbeziehungen heißen auf dieser Ebene etwa Familie, Partnerschaft, Liebe, Freundschaft, aber auch „Clique“, Kollegen und andere Gemeinschaftspartner für Unternehmungen in sozialen und kulturellen Zusammenhängen, dazu oft auch hausnahe Tiere. Gemeinsam gekennzeichnet sind die heterogenen Ausprägungen dieser Lebensebene insbesondere durch eine hier psycho-sozial „erlaubte“, sogar „gewünschte“ Unfestigkeit in der gesellschaftlich (auf der später folgenden vierten Ebene) sonst erwünschten (schein-) „rationalen“ Diskursstruktur. Unter einigermaßen sicher strukturierten Freunden sieht man über einzelne „Meinungsverschiedenheiten“ etwa zu politischen Themen schon mal hinweg. Unter Kollegen oder im Sportverein hilft einem ein gemeinsames Ziel dabei, unterschiedliche Individualitäten und ihre „Lebensart“ auf das Gemeinsame auszurichten. So oder so bilden sich relativ „feste“ Hintergrundstrukturen, die den Nah-Welt-Partnern ein Stabilitätsgefühl, einen relativen Halt im komplexen, oft als unsicher wahrgenommenen modernen Leben geben.

Diese Hintergrundstruktur kann man theoretisch mehr oder weniger anspruchsvoll und dabei phänomenologisch korrekt konstruieren: Vergleichsweise einfach ist der Hinweis auf gemeinsame biologische Strukturen, die man als „Gene“ mindestens in der Familie mit (ziemlicher) Sicherheit teilt, die man aber bei Bedarf auch in vergleichbaren „Gehirnstrukturen“ unter Befreundeten suchen und finden kann, wenn man denn dem modernen Gehirn-Materialismus folgen will. Anspruchsvoller wird es, wenn Nah-Welt-Partner sich ihr Gemeinsames sozio-kulturell erklären wollen. Ziemlich intuitiv erfassbar sind praktisch-basale Zusammenhänge wie eine gemeinsame Kindheit oder langjährige Nachbarschaft. Hier spielt das alte philosophische Thema der „Gewohnheit“ (oder des Sich-Gewöhnens) eine wichtige Rolle. Eher reflektierend geht es zu, wenn man sich über gern so genannte „Werte“, also wichtige „Glaubenssätze“ (nicht nur religiöse) oder grundlegende „Meinungen“ (nicht nur politische) austauscht oder gemeinsame Lebenserfahrungen und Handlungsbewertungen abgleicht.

In diesem Nah-Bereich erfährt der Einzelne sich (jedenfalls im besten Falle) als „wahrgenommen“ und „angenommen“ oder – mit Hegel zu reden: als weitgehend unmittelbar „anerkannt“ (phänomenologisch möglichst ohne die von Hegel ausführlich durchgespielte Herr-Knecht-Dialektik und ihre realen Fallstricke). Diese Anerkennung kann sowohl auf Wiedererkennen (Gleichsein in einer Gruppe, in einzelnen Charaktereigenschaften usw.) gründen als auch auf Komplementarität von Eigenschaften, Welt-Interessen usw., wie das in vielen Liebes- und Freundschaftsbeziehungen beobachtet werden kann. Der Einzelne lebt hier (jedenfalls potenziell) „Gemeinschaft“ sozusagen „vor“ der (auf der nächsten Ebene „nötigen“) Anstrengung des „gesellschaftlichen“ Kampfes um Anerkennung (der für Hegel und seine Nachfolger bis heute von größerer Bedeutung ist).

In diesem Bereich wird in der philosophischen Beratung (nach der TEEA-Methode) häufig diskutiert, wie leicht man sich in rationalistischen Meta-Missverständnissen des Anerkennens verfangen kann, etwa wenn in bestimmten psychologischen und soziologischen Diskursen gebildete Beziehungspartner voneinander ebendiese Anerkennung ausdrücklich fordern, ohne die faktisch-empirisch unhintergehbare leibliche und individual-kulturelle Relativität des jeweils anderen wirklich akzeptieren zu können. In unserer von vielen Beteiligten als „kalt“ beschriebenen Arbeits- und Gesellschaftskultur wächst der Sehnsuchtsanspruch nach der „warmen“ Nah-Welt (insbesondere in der immer noch „romantisch“ angelegten „Liebe“) oft ins eigentlich immer schon Unerreichbare. In diesem Zusammenhang wird das tiefliegende Motiv der Suche nach „Heimat“ (ein altmodisches, aber treffendes Wort) neben anderen Leit- und Wunsch-Begriffen immer wieder thematisiert. Heimat, so stellt sich regelmäßig heraus, kann im Prinzip auf allen Existenzebenen „gefunden“ werden: vom rein leiblichen Selbstbezug (zum Beispiel in der körperlichen Selbstbefriedigung oder völliger mentaler Entspannung, Ebene 1) bis hin zur höchst komplexen Identifikation des philosophisch „gestrickten“ Individuums mit bestimmten allgemein-umfassenden Denk- und Welt-Bildern in der reinen Ontologie (abstraktes Erfassen der Seinsgrundlagen, Ebene 9). So oder so sieht man hier, worum es im existenznah betrachteten Leben des Einzelnen wohl stets geht: um das Schaffen eines „eigenen“ Bedeutungskosmos – allein und mit anderen, in der real-leiblich-gespürten Welt und in der medial-vermittelt-konstruierten. Die TEEA dient dazu, solche allgemein formulierten Zusammenhänge empirisch-individuell zu betrachten und zu reflektieren.

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